>> ...Nur eine Stunde, dann konnte er, noch bevor die Verstärkung eintraf, die Pendelposten umgehen und die Grenze erreichen, ehe es Tag wurde und dann... dann war da vielleicht die Freiheit...
Immer neben den Wegen her, nun wieder mit allen Sinnen in die Nacht gespannt, erreichte er das Dorf; aber es musste schon spät sein; nirgendwo war mehr Licht... die schwarzen Blöcke der Häuser hoben sich dumpf gegen den Himmel ab... die Umrisse der Bäume... er ging an einem tief in der Stille versunkenen Hof vorbei, nahe an der Hecke, so dass ihn die Dornen streiften... dann stieg mit einem Male ganz plötzlich und erschreckend die große unheimliche Silhouette der Kirche vor ihm auf, und da war ein Haus, in dem noch Licht brannte; er ging vorsichtig und langsam; nur kein Hundegebell wecken... wie die Wölfe würden die Häscher über ihm sein...
Sein Kopf schmerzte entsetzlich; ein bohrender Schmerz, als wühle ein unbarmherziger Finger in seinem zermarterten Gehirn... <<
Heinrich Böll beschreibt in seiner Kurzgeschichte den verzweifelten Fluchtversuch des Lagerhäftlings Joseph vor den Nazi-Häschern. Joseph findet vorübergehend Unterschlupf bei einem Kaplan, um anschließend seine aussichtslose Flucht fortzusetzen.
Der Nobelpreisträger von 1972 klagt in diesem frühen Werk die Unmenschlichkeit einer totalitären Diktatur an, in der jegliches individuelles Aufbäumen zum Scheitern verurteilt ist.
Heinrich Böll (1917-1985) erstellte die Reinschrift von "Der Flüchtling" am 2./3. November 1946 in Köln.
Er reichte das Manuskript den "Frankfurter Heften" am 12.Mai 1947 zum Abdruck ein.
DIE KULTURTECHNIKER setzen den Text in eine konzertante Performance um, in deren Mittelpunkt die zeitlose Eindringlichkeit der Sprache Heinrich Bölls steht.
Idee und Komposition: Ralf Werner
Textmontage und szenische Einrichtung: Ralf Werner & Martin M. Hahnemann
Premiere: 08.05.1999, Schwerte / Gedenkstätte Ehemaliges KZ
Dauer: 40 min
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