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DIE KULTURTECHNIKER
Altmark-Zeitung // 24.09.2004
Unheimliche Töne und lebende Tote
Gruseliges Lesekonzert in Gardelegens Bibliothek


Gruseliges Lesekonzert in Gardelegens Bibliothek
Von Gesine Biermann
GARDELEGEN. Gedämmtes Licht, Kerzen flackern, zwei Männer ganz in schwarz im Halbdunkel auf dem Podium vor den Zuschauern, eine Glocke schlägt leise, gleich-mäßig, eindringlich, getragen bimm, bimm, bimm... und ei-ne Stimme beginnt, eine düs-tere Geschichte zu erzählen. Fast zwei Stunden lang scharrt kein Stuhl, wagt nie-mand im gut besuchten Lese-saal der Gardelegener Stadt-, Kreis- und Gymnasialbiblio-thek, laut zu atmen. Alle hö-ren und erleben gebannt, wie die Personen aus einer Novel-le von Edgar Allan Poe zum Leben erwachen, sterben und als lebende Tote wiederaufer-stehen. Während Schauspie-ler Martin M. Hahnemann mit elektronisch verstärkter, klangvoller Stimme aus der Übersetzung ?Der Fall des Hauses Ascher" liest oder frei rezitiert, begleitet ihn eine Mi-schung aus Melodien, Klän-gen, einzelnen Tönen und Ge-räuschen in verschiedenen Variationen und Abfolgen, ge-spielt oder geklopft auf dem Violoncello - teilweise ver-stärkt durch Hall oder elektro-nische Effekte- , die Cellist Ralf Werner komponiert und exakt auf den Vortrag des Freundes zugeschnitten hatte.
Beide ?Kulturtechniker" zu-sammen erzeugen so auch eben jene mystisch-dunkle Stimmung, die Poe mit seiner berühmten Erzählung schon Anfang des 19. Jahrhunderts bei seinen Lesern beabsichtig-te. Auch wenn die eigent-lichen Worte des ?Fürsten der Finsterniss" selbst nur bruch-stückhaft bei den Zuhörern ankommen, zu viele andere Eindrücke prasseln auf sie ein. So ertönen zuvor gespro-chene Sätze plötzlich aus dem Lautsprecher, in ständiger Wiederholung, verbinden sich mit anderen Worten, Satzfet-zen und Tönen, krächzt über-raschend die Stimme des Erzählers, elektronisch ver-zerrt, und von einem Echo begleitet. Und, mitten in ih-rem elektronischen Lesekon-zert öffnen die Künstler ur-plötzlich unangekündigt die Flügeltüren nach draußen und verlassen nacheinander den Lesesaal. Ihre Stimmen je-doch, der Klang des Violon-cello, zuvor mehrspurig auf-gezeichnet, bleiben bei den Hörern im Raum, bis beide zurückkommen und ihre Plät-ze wieder einnehmen und die Erzählung schließlich ihr morbides, sehr eindringlich interpretiertes und dunkles Ende findet : Es ist tatsächlich urplötzlich stockdunkel im Raum. Erst jetzt wagen die Zuschauer in der Bibliothek wieder laut zu atmen und sie holen die beiden ?Kulturtech-niker" während eines langan-haltenden Applauses schließ-lich noch mehrere Male auf das Podium.
Bibliotheksleiterin Ursula Isenberg ist selbst noch ein wenig atemlos, als sie dem Duo mit Blumen für ihren Auftritt dankt, und stellt fest, dass es, ?etwas Derartiges in unserem Haus noch nicht gegeben hat".
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