Die Reisenden und Pendler staunten nicht schlecht, als sie am Freitagabend den Ulmer Bahnhofsvorplatz passierten. Dort trafen sie auf ein gebanntes Publikum, das bizarren Soundcollagen von Electronic Jazz und den Rezitationen eines Schauspielers lauschte.
Als Beitrag zum Architektursommer 2004 hatte sich die Ulmer Volkshochschule etwas Besonderes einfallen lassen: Der Ulmer Bahnhofsvorplatz diente als Kulisse für die ?New York.Berlin.City Loops", einem elek-tronischen Musiktheater der Kölner Projekt-gruppe ?Kulturtechniker". Und einen besse-ren Ort hätte man für das Motto ?Architek-tur bewegt" in Ulm nicht finden können. Die Geschäftigkeit der Reisenden, das Stim-mengewirr, die permanente Geräuschku-lisse der an- und abfahrenden Autos auf der Straße: genau das richtige Umfeld, um abzutauchen in den stickig urbanen Moloch namens Berlin oder New York, die beide den thematischen Rahmen dieses Musik-theaters bildeten.
Verknüpfte Textfragmente von Schriftstel-lern wie Heiner Müller oder Paul Auster sind das Grundgerüst der ?New York.BerIin.City Loops". Die literarische Reise führt vorbei an belebten Straßencafés und den riesigen Lettern der Boulevards, durch die Bars und Clubs der Metropolen, von der Lyrik-Lesung in den nächstgelegenen Tanz-schuppen und mitten hindurch durch das New Yorker Inferno des 11. September. Mit klarer Gestik und eindringlicher Sprache, die er gelegentlich über ein Effektgerät rhythmisch moduliert, schlüpft der Schau-spieler Martin M. Hahnemann in die Rollen der Außenseiter und Anti-Helden. Unter-malt von elektronischen Livesamplings und Endlosschleifen, von Videoprojektionen (Dirk Groenewold), Tanz (Susanne Karow) und lautmalerischem Gesang (Elke Bartholomäus). Und einem Cello, das mal kratzbürs-tig, mal sanft, mal aufheulend wie eine E-Gitarre die urbane Geräuschkulisse musi-kalisch reproduzierte. Für zusätzliche Un-ruhe sorgte Tablaspieler und Percussionist Raul Sengupta, der mit seinem virtuosen Spiel den Herzschlag der Großstadt rasant pulsieren ließ - neben den beiden ?Klang-technikem" Ralf Werner (Violoncello, Electronics) und Martin M. Hahnemann (Schau-spiel, Rezitation) der herausragende Akteur dieser Produktion.
Die krassen Gegensätze der Großstadt, die Faszination ihrer pulsierenden Lebens-adern und die Abscheu vor grenzenloser Einsamkeit und emotionaler Kälte - eine Stunde lang waren sie auch in Ulm spürbar, mitten im hektischen Treiben des Bahnhofs-vorplatzes. Pierre La Qua
|