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DIE KULTURTECHNIKER
Altmark-Zeitung // 05.05.1999
Sensibilisierung der Sinne mit furiosem Getöse
Elektronische Lesung: Edgar Allan Poe in Salzkirche unter Strom / Am Ende blieb der Notausgang

Tangermünde (ck). Der Tisch ist mit einem schwarzen Tuch abgedeckt. Kerzen verbreiten trotz der einzelnen Sonnenstrahlen, die durch die hohen Kirchenfenster dringen, ein eher düsteres Licht. Vielleicht wirkt es auch nur so, denn gerade hat Roderick Asher mitten in der Nacht seinen Freund aufgesucht, um ihm von unheimlichen Geräuschen zu berichten.
Asher (in Persona von Martin M. Hahnemann), der an einer krankhaften Sensibilisierung der Sinne leidet, überschlägt sich in seinen Worten, gestikuliert wild, schreit. Dann springt er auf, verläßt seinen ruhigen Erzählersitz auf dem Podest und stürzt aus dem Notausgang der Salzkirche, jedoch nicht ohne dabei immer wieder mit einem Wortschwall die Schrecklichkeit des gehörten Geräusches zu betonen. Dieses bekommt der Zuhörer auch sogleich zu hören, denn Ralf Werner ist ihm mit seinem elektronischen Violoncello hinausgefolgt und erzeugt ein Getöse. Verzerrte Töne, schrille Bogenstriche und ein riesiger künstlich erzeugter Schall lassen die Szene in einem wahrhaft furiosen Geschrei enden. Dann herrscht Stille. Die beiden Künstler kommen wieder herein, schließen die Tür und nehmen ihre Plätze ein.
Eine Lesunung der besonderen Art gab es kürzlich in der Tangermünder Salzkirche zu erleben, als Martin M. Hahnemann und Ralf Werner Edgar Allan Poes ?Der Fall des Hauses Asher" intonierten. Dabei bedienten sie sich ausgefeilter elektronischer Kniffe und Techniken. So wurde Ashers Stimme mal bedrohlich klingend verzerrt oder ein immer wiederkehrendes
Echo der normalen Lesung Hahnemanns unterlegt. Auch Ralf Werner erzeugte mit aneinander geschlagenen metallenen Kerzenständern, Steinen und anderem überraschende Töne, die er immer wiederholend aufnahm und als Untermalung des Gelesenen abspielte. Er zeigte auch, daß ein Violoncello durchaus nicht nur als ein Streichinstrument zu benutzen ist. Getrommelt lassen sich ungeahnte Klangfolgen aus dem hölzernen Hohlkörper herausholen.
Die Novelle von Edgar Allan Poe aus dem Jahre 1839 wird als einer der ersten Psychothriller der Weltliteratur gewertet. Den beiden Künstlern gelang es, sie allein durch den Klang geradezu szenisch umzusetzen. Deutlich erkennbar waren dabei auch die Einflüsse von Arno Schmidt, dessen Übersetzung Hahnemann las. Ein einzigartiges Lesekonzert, dessen wahren Kunstgenuß sich jedoch viel zu wenige Tangermünder hingaben.
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